Selbstständige IT-Karriere auf dem flachen Land: Way to go oder Einbahnstraße?

Lohnt es sich, sich im IT-Bereich in ländlichen Regionen selbstständig zu machen?

Nicht jeder ist ein Stadtmensch, auch wenn er im zukunftsweisenden IT-Segment arbeitet. Denkt man sich dann noch die überall besorgniserregend gestiegenen Mieten hinzu, stellen nicht wenige sich die Frage: „Warum nicht auf dem Land?“. Allerdings ist das eine Frage mit vielen Antworten.

Der wohl mit Abstand größte Vorteil der heutigen IT ist es, dass sie den Arbeitsort von der Anwesenheitspflicht entkoppelt. Cloud Computing ist ein wichtiger Faktor dafür. Dazu noch TeamViewer, Skype und Ferndiagnose.

Diese Tools, kombiniert mit einem anständigen Rechner, machen es möglich, seinen Job durchzuführen, ohne physisch anwesend zu sein.
Und natürlich offeriert das für viele IT’ler die schmackhafte Vorstellung, sich nicht nur in eine Stadtwohnung zurückzuziehen, um von dort aus selbstständig bzw. freiberuflich ihr Geld zu verdienen, sondern ihr Business auf dem Land auszuüben.

Bloß: ist das auch in der Realität so verlockend oder lauern hier Stolpersteine?

Pro: Die Ruhe

IT’ler wissen, dass man für die allermeisten denkbaren Jobs oft genug eine Ruhe benötigt, die man in einem typischen Großstadt-Umfeld niemals zur vollständigen Zufriedenheit bekommt. Programmieren mit wummerndem Baustellenlärm vor dem Fenster? Eine Katastrophe.
Es ist dieser urbane Mix aus Verkehrslärm, Geräuschen der Nachbarn, der Kollegen. Ein ständiges Hintergrundrauschen, an das man sich als Städter zwar gewöhnt hat, das aber dennoch vorhanden ist und auf einen einwirkt – 24/7.

Auch wenn viele es nicht wahrhaben wollen, aber dieser urbane Dauerlärm macht krank und er mindert die eigene Effektivität, weil er einen niemals so tief zur Ruhe kommen lässt, wie es der Körper könnte.
Natürlich gibt es Menschen, die von sich behaupten, in einem vollkommen stillen Arbeits- oder Schlafzimmer „die Krise“ zu bekommen. Das sind aber praktisch immer die, für die dieser Zustand noch nicht Normalität geworden ist.

Man muss sich nur mal einen typischen Sommertag bei der Arbeit vorstellen, um den Unterschied zu erkennen:
• Im Stadtbüro ist es schon durch die Bebauung heißer und kühlt auch nachts weniger ab. Öffnet man die Fenster, steigt der Lärmpegel, sämtlicher Feinstaub und sonstige Verkehrsmassen-Gifte dringen ein. Lässt man das Fenster zu, wird das Zimmer zum stickigen Backofen.
• Auf dem Land schluckt die Flora eine Menge Hitze. Gleichsam kann Luft freier „durchblasen“, drückt die Temperaturen, bringt Sauerstoff. Das Fenster kann geöffnet werden und es auch bleiben, ohne Nachteile.

Schaut man allein auf diesen Faktor, gewinnt das Dorf-Office haushoch, weil es die ruhigere, fast Zen-gleiche Arbeitsumgebung ist. Leider ist es jedoch nicht nur dieser Faktor.

Con: Das Internet

Auf dem Land ist das Internet zwar nicht grundsätzlich so langsam, wie es oft dargestellt wird. Oftmals liefern jedoch nur Satelliten akzeptable Bandbreiten – bei distanzbedingt hoher Paketumlaufzeit.

Die Selbständigkeit auf dem Land steht und fällt mit der Internetverbindung und diese ist leider noch nicht allerorten Realität. Die einzelnen Provider unterscheiden sich zwar durch ihre Leistungen, aber nicht überall steht jeder Anbieter zur Verfügung, da das Legen von Leitungen teuer ist und Provider darauf angewiesen sind, dass eine möglichst hohe Anzahl von Kunden das rentabel macht.
Auch die offizielle Karte der Bundesregierung zeigt, dass sich die „Sweet Spots“ um Großstädte häufen.
Für eine erfolgreiche IT-Selbstständigkeit ist eine schnelle Internetverbindung also ein Muss. Ohne sie funktioniert es nicht, mit ihr indes kann man sogar Land-Nachteile verschmerzen.

Doch wie erzielt man letzteres?

  1. Den künftigen Arbeits-/Wohnort vornehmlich nach Breitbandverfügbarkeit auswählen. Vor Ort einen Speedtest machen, Nachbarn befragen und sich bloß nicht nur auf Provider-Versprechen allein verlassen.
  2. Prüfen, ob die drahtlose Alternative zum kabelgebundenen DSL dort eine gute Netzabdeckung hat. Denn gerade LTE wurde mit der Maßgabe aufgestellt und ausgebaut, die weißen Breitband-Landkartenflecken zu tilgen und kann dabei auch in tiefster Einöde überraschend gute Erfolge vorweisen.
  3. Grundsätzlich eine Backup-Lösung einplanen. Soll das Business sich auf kabelgebundenes DSL stützen, braucht es LTE als Rückfallebene und umgekehrt. Keine Option? Dann sollte man Satelliten-Internet checken. Das hat zwar eine ziemlich hohe Latenz, ist dafür aber überall empfangbar.

Wer übrigens unter diesem Sicherungsnetz noch ein weiteres aufbauen will, holt sich den Handyvertrag bei einem anderen Provider als der für die erste Drahtlosverbindung – dann kann man selbst im GAU-Fall noch per mobilem Hotspot den Tag retten.

Pro: Die Preise

Aus der Liste eines Immobilienportals:

  • Bauernhof in Süd-Mecklenburg-Vorpommern, 150m², 5400²m Garten: 110.000€
  • Einfamilienhaus im Hunsrück, 120m², 500m² Garten: 90.000€
  • Zweifamilienhaus mit Einliegerwohnung im Emsland, 2009 saniert, 250m², 1700m² Garten, Bachlauf durch Grundstück: 140.000 Euro


Auf diese Weise könnte man lange weitermachen. Tatsache ist, dass das Land günstig ist. Ja, das liegt natürlich daran, dass hier so viele Leute wegziehen weshalb es ein Überangebot gibt.

Doch gerade, wenn man eine IT-Selbstständigkeit plant, sich ein kompromissloses Büro einrichten möchte, ist dieses Überangebot ein unschlagbarer Vorteil

  1. Es beginnt schon damit, dass ein Vermieter (nicht nur in der Stadt) jederzeit untersagen kann, von zuhause aus zu arbeiten – schließlich eine gewerbliche Nutzung, auch wenn man nur am Rechner arbeitet.
  2. Ferner sind urbane Gewerbe-Immobilien mittlerweile ebenfalls teuer und rar. Die, die wirklich noch günstig sind, sind meist so weit von jeglicher Laufkundschaft entfernt, dass das Rausziehen aufs Land kaum noch einen Unterschied macht.
  3. Als Krönung kommt noch hinzu, dass Kommunen sowohl bei der Grund- wie Gewerbesteuer selbst den Hebesatz bestimmen können – und beide sind auf dem Land oft regelrecht unwirklich günstig, weil die Dorf-Gemeinden niemanden abschrecken möchten.

Günstiger kommt man kaum an einen wirklich großen Lebensraum, an dem Work-Life-Balance nicht nur ein Marketingbegriff ist, sondern Realität.
Dass auf dem Land auch noch das meiste zwischen Brötchen, Trinkwasser und Friseurbesuch günstiger ist, kommt noch hinzu und senkt die Unterhaltskosten fürs Business.
Insgesamt also: Mehr Raum für teils dramatisch weniger Geld

Con: Die Distanz

Wo sämtliche Kunden und andere IT’ler mindestens 50 Kilometer entfernt sind, kann die Ruhe schnell in Einsamkeit und viel Pendelei umschlagen.

Wer viel Freiraum haben will, muss sich dazu weit von anderen Menschen entfernen. Kaum ein anderer Spruch steht so sinnbildlich für ein weiteres Landleben-Kontra. Es mag nicht jeden IT’ler treffen. Tatsächlich ist es je nach Aufgabenumfeld absolut möglich, seinen Job zu machen, ohne dass die Kunden mehr sind als Stimmen am Telefon, Gesichter auf dem Bildschirm.

Das ist die Theorie. Die Praxis wird sein, dass es immer wieder Gelegenheiten geben wird, zu denen man sich mit dem Kunden treffen muss.

Natürlich, hier kann man einwerfen, dass es einem auch in der Großstadt passieren kann, dass man einen Kunden am anderen Ende Deutschlands an Land zieht. Aber: Wenn man auf dem Land lebt und arbeitet, ist jeder Kunde weit entfernt, nicht nur einzelne Ausnahmen.

Und das hat einige Knackpunkte:

  • Eine Firmenadresse ist auch ein Werbefaktor. „10115 Berlin“ klingt einfach besser als „49638 Nortrup“ (ohne den Nortrupern zu Nahe treten zu wollen) – zumal viele Kunden IT-Laien sein werden, die nicht verstehen, dass ihr Ansprechpartner nicht um die Ecke leben muss.
  • Entweder der Kunde oder man selbst muss für alles, was physischer Anwesenheit bedarf, weite Fahrten in Kauf nehmen.
  • Es gibt, selbst wenn man im weiteren Umfeld einer Stadt lebt, kein „kurz mal eben“. Alles muss geplant werden – und immer benötigt man zwingend ein Auto.
  • Sämtliche anderen IT’ler, dazu Coworking-Spaces, Foren, Hochschulen, Messen usw., die Taktgeber des IT-Entwicklungsherzschlages, sind weit entfernt. Das erschwert Networking und koppelt einen, selbst wenn man sich up-to-Date hält, immer ein wenig ab.

Aus diesem Grund sollte man zuvor auch seinen Job und seinen geplanten Kundenkreis sehr genau analysieren, bevor man den Land-Schritt tut. Als Penetrationstester kann es beispielsweise gut laufen, als IT-Consultant eher weniger.

So mancher war danach trotz schnellen Internets sehr negativ überrascht, wie einsam es auf dem Land sein kann.

Fazit

Noch vor allem anderen muss man feststellen, dass das Landleben mit Fokus auf IT-Selbstständigkeit definitiv nicht für jede Berufssparte geeignet ist. Dazu ist der IT-Beruf selbst viel zu vielfältig und kennt zu viele Felder, die bestens ohne persönlichen Kontakt auskommen wie solche, bei denen das zwingend notwendig ist.

Aber: Es ist ruhig, es ist günstig und wenn man sicherstellen kann, dass man dort eine gute Internetanbindung bekommt, wirken die ländlichen Vorteile für viele stärker als die grundsätzlich vorhandenen Nachteile.

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